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Vergnügen ist gut, Sicherheitskontrolle ist besser

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In Angoulême geht die Welt unter, es regnet in Strömen. Das treibt die Besucher in die Zelte mit den Ständen des Comicfestivals und in die Ausstellungen, doch vor deren jeweiligen Besuch sind Sicherheitskontrollen zu absolvieren, denn natürlich steht diese 42. Ausgabe des größten europäischen Comicfestivals unter einem ganz anderen Stern als alle seine Vorgänger: Seit dem Attentat vom 7. Januar steht die ganze Branche im Zentrum der Aufmerksamkeit und gilt als Speerspitze im Kampf der Kulturen. Und folglich gilt sie als höchst bedroht.
Zugleich bekommt sie mehr Aufmerksamkeit als jemals zuvor. Als am Donnerstag, dem ersten Tag des Festivals, ein kleiner Fehlalarm im Musée de la Bande Dessinée ausgelöst wurde, war der große Komplex binnen Minuten geräumt, inklusive der deutschen Botschafterin, die aus Paris gekommen war, um dort eine technische Errungenschaft zu präsentieren, die mit Comics gar nichts zu tun hatte, aber im selben Gebäude gefeiert werden sollte. Der Übereifer bei der Räumung hatte seinen Grund darin, dass am selben Ort auch die „Charlie Hebdo“-Ausstellung zu sehen ist, die in einer wahren Herkulesarbeit in kaum zwei Wochen organisiert wurde und hervorragend geraten ist.
In langen gewundenen Tischvitrinen liegen sämtliche Ausgaben der Satirezeitschrift aus, aber auch deren Vorgeschichte – also die des Magazins „Hara-Kiri“, für das fast alle Mitarbeiter des 1970 gegründeten Blatts gearbeitet hatten – wird präsentiert. Hier zeigt sich, was für ein Zentrum des französischsprachigen Comics Angoulême mittlerweile ist. Nicht nur das Museum steht hier, sondern auch eine gigantische Spezialbibliothek, deren Beständen sich der Großteil der Ausstellung verdankt. Private Leihgeber steuerten dann noch ein paar Plakate und Originalzeichnungen der „Charlie“-Zeichner bei, Interviews mit den Künstlern wurden für Bildschirme aufbereitet  – fertig war die Schau.
Wie lange sie gezeigt wird, weiß niemand in Angoulême. Zu rasch musste sie konzipiert werden, als dass man sich darüber bislang hätte Gedanken machen können. Es steht zu hoffen, dass sie nicht nach den vier Festivaltagen schon wieder abgebaut werden muss; normalerweise erlaubt der Standort im Museum mehrere Monate Laufzeit, so wie im Fall der parallel gezeigten, aber natürlich auch viel länger vorbereiteten Ausstellung zu Tove Janssons „Mumins“, die ein großer Erfolg bei den jungen Besuchern ist. Allerdings müssen auch sie durch die gleich doppelten Kontrollen der „Charlie“-Schau. Und es macht wenig Vergnügen, in den entsprechenden Schlangen zu stehen, während es von oben schüttet.
Abends am ersten Festivaltag war der Regen dankenswerterweise etwas weniger grässlich, als traditionell vom Rathausbalkon herab der Gewinner des Großen Preises von Angoulême verkündet wurde: Katsuhiro Otomo (http://grandprix.bdangouleme.com/). Der japanische Mangaka, berühmt vor allem durch „Akira“, ist der erste asiatische Künstler, dem diese Ehre widerfährt, erstaunlicherweise noch vor seinem Landsmann Jiro Taniguchi, der diesmal einer Stargäste in Angoulême ist und von den Franzosen vergöttert wird. So sehr, dass er sich bei einem bis auf den letzten Platz gefüllten kurzen öffentlichen Gespräch am Nachmittag aus dem Publikum fragen lassen musste, wann er denn endlich in seiner Heimat so bekannt werde wie in Frankreich. Taniguchi lächelte, nannte das eine interessante Frage, und verwies darauf, dass er Manga zeichne, die eine langsame Lektüre erforderten. Das sorge dafür, dass sie in Japan schnell wieder aus den Verkaufsregalen genommen würden.
Wenn der Wirbel um Taniguchi, dem jede französische Zeitschrift, die sich überhaupt für Comics interessiert, ihre Januar-Titelstory gewidmet hat, ein Indikator sein kann, was im kommenden Jahr blüht, wenn Otomo nach Angoulême kommt, dann dürfte das Comicfestival endgültig für den Manga gewonnen sein. Immerhin nahm Otomo die Preisverleihung im fernen Frankreich so wichtig, dass er schon drei Stunden nach Verkündigung aus Japan eine Videobotschaft zum Dank schickte. Dabei war ihm auf dem Balkon sogar noch die Schau gestohlen worden. Es gab nämlich erstmals zwei Große Preise, denn an „Charlie Hebdo“ wurde eine Spezialauszeichnung verliehen (http://grandprix.bdangouleme.com/14/grand-prix-special.html). Damit hat die aus ehemaligen Siegern und Vertretern der Stadt bestehende Jury des bedeutendsten Comicpreises der Welt ein wenig Terrain zurückgewonnen.
Denn sie war entmachtet worden – was ich bislang noch gar nicht wusste. Mittlerweile erfolgt die Vergabe des Grand Prix über ein Votum von mehr als 3500 französischsprachigen Comicschaffenden, mit dem erst einmal drei Finalisten und dann der Gewinner festgelegt werden. Diesmal standen neben Otomo der englische Szenarist Alan Moore und der belgische Zeichner Hermann zur Wahl. Für den Japaner stimmten dann 38 Prozent, also eine ziemlich dünne Mehrheit. Aber der über Jahrzehnte aktiven Jury blieb gar nichts mehr – bis das Massaker von Paris sie noch einmal forderte. Hoffentlich zum letzten Mal, wenn es dazu solcher Anlässe bedarf.
Und in einer der Kategorien für die besten Publikationen des vergangenen Jahres wurde auch schon der Gewinner bestimmt: Als bester Comic für junge Leser ist der erste Band der Serie „Les Royaumes du Nord“ (Die Königreiche des Nordens von Clément Oubrerie und Stéphane Melchior ausgezeichnet worden. Wie es der Zufall wollte, saß ich gerade im „Chat Noir“, der Stammkneipe der deutschen Festivalgäste, als sich ein junger Mann mit stolzgeschwellter Brust und drei hochgestimmten Begleitern nebenan niederließ und eine „Fauve“ (den von Lewis Trondheim gestalteten Hauptpreis in Form einer Cartoon-Katze) auf den Tisch stellte. Das war Stéphane Melchior, und näher werde ich wohl keinem anderen Preisträger des Festivals mehr kommen. Denn wenn die anderen Auszeichnungen am Sonntag Nachmittag vergeben werden, dürfte ich schon wieder auf dem Heimweg sein.

von platthaus erschienen in Comic ein Blog von FAZ.NET.


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